Musst du dich erst selbst kennenlernen oder hast du einfach vergessen wer du bist?!
Die Suche nach seinem Selbst hat sich im 21. Jahrhundert zu einer Art Volkssport etabliert. Jeder zweite ist auf den Spuren seines inneren Ichs, besucht Selbstfindungsseminare, wendet sich an „Live-Coaches“, verschlingt einen Ratgeber nach dem anderen oder begibt sich für eine unbestimmte Zeit auf Weltreise, auch bekannt unter dem respekteinflößendem Namen „Sabbatical“.
Auch ich würde von mir behaupten mich momentan in einer Selbstfindungsphase zu befinden, die mir in den vergangenen drei Jahren schon so manches „Aha-Erlebnis“ beschert hat. Allgemein fühle ich mich dadurch reifer, denn ich lerne, was mir guttut, was mir wichtig ist, welche Ziele und Träume ich habe, dass ich überhaupt Ziele und Träume habe. Meinen eigenen Weg zu gehen ungeachtet dessen, was andere darüber denken und einfach das zu machen, was mir guttut ist ein tolles Gefühl. Wenn ich meiner Phantasie erst einmal Raum gebe wie ich mein Leben gestalten könnte überschlagen sich die Ideen in meinem Kopf, sodass ich mich regelrecht dabei bremsen muss. Schon fast beängstigend welche Möglichkeiten sich auftun und danach schreien wahrgenommen zu werden. Während ich mich also täglich an den Erkenntnissen meines Selbstfindungsprozesses bereichere frage ich mich gleichzeitig wie es eigentlich dazu kommt, dass wir Menschen uns selbst finden müssen – wo sind wir denn eigentlich hin verschwunden?
Das ist eine durchaus berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass wir Zeit unseres Lebens damit verbringen herauszufinden wer wir sind. Und wenn wir uns dann gefunden haben, ist es eher ein WIEDERfinden oder vielmehr die erste Begegnung mit uns selbst? Letzteres klingt spontan wenig plausibel. Wenn man sich finden möchte setzt das ja die Existenz eines „Ich“ voraus. Es ist nur verborgen und will gefunden werden. Wäre das nicht der Fall, müsste man diesen ganzen Prozess als eine Art Persönlichkeitsentwicklung betrachten. Es ist also wie so oft eine Frage der Sichtweise.
Die „ich war schon immer da, habe mich aber im Laufe der Zeit verloren“ – Sichtweise versus die „mein „Ich“ ist eine Art kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ – Sichtweise. Option A sagt unser „Ich“ in seiner vollkommenen Form existiert schon immer, wir kommen jedoch im Laufe unseres Lebens davon ab und müssen uns erst wiederfinden. Option B geht hingegen von einem Grund-Ich aus, das sich stetig verbessern muss, um immer wieder eine optimierte Version seiner selbst zu schaffen. Zwei Sichtweisen. Effektivität versus Effizienz. Das Ziel ist das Ziel versus der Weg ist das Ziel. Ich entscheide mich, wie so oft, für die Effektivität. Je mehr ich darüber nachdenke, desto einleuchtender erscheint mir diese Wahl. Denn wenn der Weg das Ziel wäre, komme ich nie an. Das schafft auf Dauer Unzufriedenheit. Es gibt kein gut genug, denn gut ist nur eine zukünftige Verbesserung von heute. Sozusagen die bessere Zukunft der Gegenwart. Keine schönen Aussichten. Was ist also mit der Alternative?
Ich sehe das so: Das Ziel ist das Ziel. Letzteres ist unsere Selbstfindung und beschreibt einen Zustand, bei dem alles was wir tun, sagen und denken aus uns selbst kommt, unabhängig von äußeren Einflüssen. Doch was passiert, wenn wir diese Ziel erreicht haben, unsere Lebensaufgabe somit erfüllt wäre? Herrscht dann Stillstand, können wir uns trotzdem noch weiterentwickeln?
Für mich ist unsere Selbstfindung nur eine Art Etappenziel. Wenn wir diese Etappe erreicht haben, besteht die wahre Lebensaufgabe darin, „einfach“ zu sein. Du selbst zu sein, in all deinen Facetten und dein Leben sinnvoll, also voll von deinen Sinnen, zu genießen – und das jeden Moment deines Lebens. Das klingt fast zu einfach, um wahr zu sein. Und doch stellt es die Menschen vor eine der größten Herausforderungen nämlich authentisch zu sein. Eine Eigenschaft, die wir an anderen Personen besonders schätzen oder bewundern. Das schöne an Authentizität ist, dass wir nicht perfekt sein müssen. Denn der Mensch ist nicht perfekt, sonst wäre er nicht vielmehr als eine Maschine. Nein, es ist gut seine Emotionen auslassen, seine Gefühle zum Ausdruck bringen und Empathie zeigen zu können. Weine, wenn dir traurig zumute ist, sei schweigsam, wenn du dich nach Stille sehnst und ruhe dich aus, wenn dich das Leben erschöpft. Das wichtige ist nur, dass es tatsächlich du bist, der ist. Dass all deine Gedanken, Gefühle und Emotionen authentisch sind. Das fällt uns mehr als schwer. Denn eigentlich lernen wir tagtäglich wie wir uns zu verhalten haben, um in dieser Welt zu bestehen, beliebt zu sein, gelobt zu werden, konform zu leben. Eher regel- und gesellschaftskonform als Ich-konform. Dabei wäre letzteres die einfachere Variante. Es 7,4 Milliarden Menschen recht zu machen gleicht einer Mammutaufgabe, wohingegen es mir selbst recht zu machen schon beinahe banal klingt. Auch wirtschaftlich betrachtet eine Win-Win-Situation. Wenn ich es mir selbst recht mache, mache ich es automatisch auch denjenigen recht, denen mein Glück am Herzen liegt. Auf alle anderen kann und sollte man sowieso verzichten. Ein natürlicher Ausleseprozess. Hingegen wenn ich es allen anderen recht machen möchte, hängt mein Glück stets von den Launen oder Emotionen anderer ab.
Das macht Sinn. Meine Erinnerungen unterstreichen meine Erkenntnis. Diese ganze Unsicherheit, Selbstzweifel, Wut oder Eifersucht, die einem heute das Leben erschweren, gab es in der Kindheit nicht. Momente der Freude, des Glücks, der Ausgelassenheit dafür umso mehr. Das hat jedoch mit dem Älterwerden kontinuierlich abgenommen. Plötzlich schämt man sich, sich selbst zu sein. Man lässt sich vor allem beeinflussen. Von Medien, „rolemodels“, Stars, gesellschaftlichen Normen und kulturellen Werten. Ich denke, dass uns die Natur mit den wichtigsten Werkzeugen fürs (Über)Leben bereits ausgestattet hat. Genauso wie wir unseren Selbsterhaltungs- oder Fortpflanzungstrieb von Haus aus in uns haben.
Das einzige, was uns (gerade in der Kindheit) von außen nährt ist Liebe. Hier gibt es Studien, die belegen, dass ein Kleinkind ohne Liebe nicht überlebensfähig ist. Das ist es doch, was wir Menschen unter Geben und Nehmen verstehen sollten. Wir brauchen Liebe, um zu leben und leben, um zu lieben. Das ist die Essenz, zu der wir zurückfinden müssen. Wir tragen Liebe in uns, wir sind Liebe. Wenn wir uns von all den negativen Emotionen befreien und zu unserem Ursprung zurückfinden, können wir endlich unser Leben lieben und geliebt werden.
Stay inspired <3