Wie so oft vermisst man Dinge erst, wenn sie einmal abhanden gekommen sind. Mir ist kürzlich meine Freiheit flöten gegangen…
Es war mal wieder soweit: Die Studentenkasse neigte sich dem Ende, ein Ferienjob musste her. Eine Zusage kam schneller als gedacht, die Ankunft in der Realität ebenso. Mein erster Tag im Versand eines Mittelständlers für digitale Industriekameras bestand darin, jene Kameras fachmännisch zu verpacken und in die Welt zu versenden. Dabei ist die Verpackungslehre eine Kunst für sich. Wer früher Scorebreaker bei „Tetris“ war, ist klar im Vorteil. Jedes Schächtelchen und Tütchen muss exakt den nötigen Freiraum bekommen, um nicht eingeengt oder gar zerquetscht zu werden, bei gleichzeitig maximaler Enge, um das Herumfliegen im Karton zu verhindern. Kein leichtes Unterfangen für mich als Anfänger UND ohne Tetris-Erfahrung!! Zum Glück gibt es Luftpolsterfolie in en masse.
Mal ehrlich – Ich fühle mich gelegentlich wie diese kleinen Päckchen. Eingezwängt in einer Umgebung, in der ich gar nicht sein möchte. Kein Raum zu entkommen, trotzdem genug Platz zu funktionieren. Willkommen im Arbeitsalltag. Doch warum fühlen wir uns so? Immerhin arbeiten wir freiwillig, um uns zu finanzieren. Um unseren Lebensstandard zu sichern und weiter auszubauen: WG-Zimmer – Wohnung – Haus, Fahrrad – Vespa – Auto, Panda – Polo – Porsche, H&M – P&C – D&G… die Liste lässt sich endlos weiterführen, nicht aber unsere Auffassung von Freiwilligkeit. Schnell werden Luxusartikel zu Alltagsgegenständen, Urlaube zur Selbstverständlichkeit – Freiwilligkeit zur Notwendigkeit. Wir schuften nicht, um uns mehr Freiheiten leisten zu können sondern um unseren eingeschränkten Lebensstil zu finanzieren.
Seien wir doch mal ehrlich, Investitionen in Luxus- und Markenartikel ziehen uns das Geld aus der Tasche, machen uns nicht wirklich glücklich, sind zusätzlicher Ballast und vernebeln unseren Blick für die wirklich wertvollen Dinge. Letztere haben häufig einen geringen bis keinen finanziellen Wert, dafür sind sie oft enorm nachhaltig. All das wissen wir. Trotzdem nimmt unser Konsum überhand, zwingt uns in lange Arbeitsverhältnisse, hohe Überschuldung und letztendlich in große Abhängigkeiten. Ein Teufelskreis. Wenn wir erst einmal darin gefangen sind, richtet sich unser Blick auf Fristen, Geldsorgen, fehlende Kapazitäten, Leere und erneut Konsum, um das alles auszuhalten – oder, um die Illusion von Freude einen kurzen Moment aufrecht zu erhalten, um anschließend die Realität erneut ein Stückchen beschissener wahrzunehmen. Was ist die Lösung? Alles aufgeben, als Aussteiger ohne Sorgen im Gepäck die Welt bereisen, am Strand übernachten, trampen, Hostel, Couchsurfing, backpack, ungebunden, frei wie ein Vogel???
Ich denke das ist eine Illusion. Wir brauchen nicht über Grenzen zu laufen, um uns unserer Freiheit bewusst zu werden. Freisein, dass ist ein Bewusstseinszustand. Ein Adler kann am Tag hunderte Kilometer zurücklegen, kann fliegen wohin es ihn zieht. Wenn er sich dessen, dieser vermeintlichen Freiheit, nicht bewusst ist, empfindet er auch kein Freiheitsgefühl. Wir gehen noch einen Schritt weiter. Wenn sich der Adler nicht darüber im Klaren ist, dass er auch hier in seinem Forst glücklich sein kann, ohne weite kräftezehrende Reisen auf sich zu nehmen, wäre sein Leben um einiges leichter.
Zurück zum “weisen Menschen“: Ja, wir haben keine Flügel, mit denen wir unseren Sorgen davon fliegen können aber wir haben ein Bewusstsein, das uns das Fliegen lernen kann. Nicht in der Luft, sondern in unseren Gedanken. Sich frei und unabhängig zu fühlen, ist ein Resultat unserer Gedanken. Unabhängig von allem Materiellen, von Landesgrenzen und finanziellem Reichtum. Ob wir jeden Tag aufstehen zur Arbeit gehen und uns anschließend ein aufwendiges Essen zubereiten, nachdem wir uns im Fitnessstudio verausgabt haben, sollte kein Zwang und keine Qual sein sondern etwas, das wir machen können, nicht müssen. Wenn wir zu viel Stress haben, ausgepowert sind, uns eingeengt fühlen – lasst den Teufelskreis nicht entstehen. Ihr könnt etwas ändern. Entweder euer Handeln oder euer Denken. Schraubt den Konsum zurück, wechselt euren Job, arbeitet halbtags, macht euch selbstständig, zieht um UND ODER macht euch bewusst, dass dies genau das Leben ist, dass ihr euch so gestaltet habt und jederzeit ändern könnt, wenn ihr nur wollt!
Macht euch vor allem bewusst, wofür ihr Dinge macht, was euch antreibt. Ich stehe hier und spiele Päckchen-Tetris, weil ich es so entschieden habe. Niemand hat mich dazu gezwungen. Natürlich könnte ich mir eine schönere Beschäftigung vorstellen – doch dann würde ich auch kein Geld verdienen, um ins Ausland reisen zu können. Es ist keine Ausrede zu sagen, ich habe eine Familie zu versorgen und brauche das Geld, natürlich bin ich abhängig von meinem Job. Jeder einzelne Schritt in eurem Leben ist eine Entscheidung. Eine Entscheidung für etwas und gegen die Alternativen. Immer. Jede Entscheidung hat Vor- und „Nachteile“. Es liegt an euch, die Nachteile als solche zu betrachten oder eben als Mittel zum Zweck, um aus den Vorteilen glücklich zu werden. Wer sich für Kinder entscheidet, entscheidet sich für mehr Stress, Kosten, Sorgen etc. – jedoch nehmen wir diese vermeintlichen “Nachteile“ gerne in Kauf, wenn wir dafür unbezahlbares Glück erhalten.
Es gibt immer zwei Blickwinkel. Du kannst dich in deinem Leben gefangen fühlen, wie das einzelne Päckchen im Karton, lamentierend über die beschissene Gesamtsituation ODER du bist ein Macher, der geschickt einen Lebensstein neben den anderen baut, um für sich persönlich ein passendes Ganzes zu schaffen. Ich spiele gerne Tetris, was ist mit dir?
Stay inspired <3